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Wege aus der Grotte der Nymphen

von Stephen Mace

Amerikanischer Originaltitel: Escape from the Cave of the Nymphs, aus dem Englischen

Vom Brückenschlag zwischen Aufklärung und Magie
Ein Wort zu Stephen Maces "Wege aus der Grotte der Nymphen"
Eine Brücke ruht auf zwei Brückenpfeilern. Diese erkennt man nicht, solange die Brücke, die sie überspannt, fehlt. Sie sehen dann wie Säulen aus, die sinnlos in der Landschaft stehen.

Die beiden Säulen der abendländischen Kultur

Die erste Säule ist die europäische Aufklärung. Die zweite Säule ist die Magie. Die Aufklärung gilt als politisch fortschrittlich; die Magie als rückschrittlich. Ein Beispiel für den Rückschritt der Magie ist jener König von Preußen, der gegen den Aufklärer Immanuel Kant das berühmte Schreibverbot erließ. Dieser König, dessen Namen ich absichtlich vergesse, war Rosenkreuzer. Seither gelten die Rosenkreuzer als politische Dunkelmänner: "Ökofaschisten" heißen sie bei Jutta Ditfurth, die für die derzeitige linke Aufklärung das beste Beispiel ist. Sogar die denkbar unschuldigen Anthroposophen werden von Jutta eingeklagt, nur weil sie sich mit "Elementarwesen" oder "Schutzgeistern" befassen - theoretisch zumeist. Weil aber die genannten Worte zugleich zum Handwerkszeug der magischen Praxis gehören, wirft Jutta den unschuldigen Anthroposophen vor, dass sie Aberglauben und Volksverdummung verbreiten - ein Vorwurf, der ursprünglich die Magier treffen sollte, von denen Jutta aber nichts Genaues weiß, weil die Magier nicht in den Medien auftreten und weil die echte Überlieferung nur mündlich und praktisch weitergegeben wird. Es ist der Gegensatz zur Öffentlichkeit der kritischen Aufklärung. Ich verstehe Jutta Ditfurth und begrüße ihre Arbeit - ebenso verstehe und begrüße ich die Magie.
Ich anerkenne die beiden Säulen der abendländischen Kultur. Als ich jung war, habe ich die gegenseitige Ablehnung sogar genossen. Als ich älter wurde, bemerkte ich, dass die Ablehnung eine Schwäche ist, eine Art Schwindsucht, die beide Säulen zerstört. Noch älter geworden, dämmerte es mir, dass die Säulen keine Säulen sind, sondern Pfeiler ohne Querverbindung. Ich ahnte die Möglichkeit einer Brücke.
Die Magie muss verfinstern, wenn sie von kritischer Analyse nicht durchstrahlt wird. Analyse war ursprünglich ein Vorgang der Al-Chemie und gehört in die Sphäre der Intelligenz, die dem Mercurius eigen ist. Sobald das Licht der Intelligenz erlischt, verfinstert sich die Magie zur Nachahmung der Überlieferung, zum undurchsichtigen Ritual. An die Stelle der Selbstgeburt tritt die Angst. Angst ist das Ende der Magie. - Umgekehrt muss die kritische Intelligenz der Linken verdorren und zu Stroh werden, wenn sie durch Magie nicht befruchtet wird. Magie ist die Arbeit mit dem Willen. Wille ist Mut. Die Mutlosigkeit der Aufklärung, ihre Willensschwäche ist inzwischen bekannt. Politische Taten kommen immer von rechts. Die Wucht der Jahrtausende steht hinter ihnen, die Wucht der Gedankenlosigkeit. Man muss sich allerdings darüber klar sein, dass die Rechte vor allem in den alten Institutionen wirkt, die als "Handlungen" nicht erkannt werden, solange man nicht sieht, dass die Institutionen solche Taten sind, die Taten verhindern sollen. Welche Wucht in der Verhinderung neuer Handlungen!
Was ich soeben machte, ist typisch links und willensschwach: die Aufklärung analysiert. Die Rechte handelt und stinkt vor Gedankenlosigkeit. Die Linke gleicht den Ameisen, die das Aas zerfressen. Bald ist das Gerippe sichtbar, die Knochen werden fein säuberlich geordnet. Die Linke hat immer recht. Aber sie kommt immer zu spät. Ich gebe ein Beispiel. Die Aufklärung hat bis zum heutigen Tag keine neue Institution oder Verfassung erfunden. Immer noch hängen wir melancholisch an den antiken Vorbildern von "Demo-Kratie" oder "Res puplica". Ebenso hängt die Rechte am Cäsarismus. Aber eben in der Nicht-Erfindung hat die Rechte ihre Kraft. Die Linke dagegen lebt nur durch bewusste Erneuerung. Jeder Stillstand ist Blindheit. So wurden wir blind für die Tatsache, dass Demokratie der Antike nur für sechs Prozent der Bevölkerung galt, nämlich für die ökonomisch "Freien", während Frauen, Kinder, Arbeiter wie Gegenstände gehandelt wurden. 94 Prozent der Bevölkerung waren "Dinge". Die Demokratie ist strukturelle Sklaverei. Sie wurde von den Linken kaum erkannt, geschweige denn abgeschafft. Das kommt davon, wenn man Magie ablehnt. Man wird unfruchtbar. Man bringt keine neuen Institutionen hervor. Die Handlung überlässt man dem Gegner.

Die Erfindung des Brückenbauers

Um diese Schwäche zu überwinden, müsste man eine Brücke erfinden, die beide Pfeiler verbindet. Ich werde den Brückenbauer jetzt erfinden. Ich nehme einen Jüngling der 68er-Generation. Und weil die USA so weit entfernt sind, lasse ich ihn dort aufwachsen. Ich setze ihn in die linke Bewegung und schenke ihm eine umfassende Allgemeinbildung einschließlich Naturwissenschaften. Seine Intelligenz soll kritisch sein, also auch immer selbstkritisch. Aber nicht melancholisch. Sondern er hat Spaß daran. Und vor allem: er öffnet gerne, was er denkt. Er veröffentlicht. Er ist also das Gegenteil eines verschlossenen Magiers. Mein Jüngling könnte auch glänzender Journalist werden: Information für alle. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite füge ich hinzu, indem ich einen alten Magier auftreten lasse, der dem Jüngling einen praktischen Tipp gibt. Der Jüngling macht seinen ersten Selbstversuch und staunt. Er blickt in eine Welt, von der er nichts wusste. Die Gegenwelt der Magie. Und jetzt richtet der Jüngling seine kritische Intelligenz auf die bisher dunklen Praktiken der Magier. Er entdeckt die tollsten Zusammenhänge und wendet sie praktisch auf sich selbst und seine gesellschaftliche Umwelt an: er veröffentlicht das bisher Dunkle. Denn jeder Mensch soll für das Können begabt werden, jeder soll lernen dürfen. Dies ist das Prinzip der Aufklärung, angewandt auf Magie.
Den Jüngling müsste ich erfinden, wenn es ihn nicht schon lange gäbe. Er heißt Stephen Mace. Man lese seinen Essay über Oswald Spengler. Welch eine Entdeckung! In Europa gilt Spengler als ein Riese der konservativen Rechten. Kein Linker wird ihn lesen, geschweige denn zitieren. Stephen dagegen, mit der Unbefangenheit des Amerikaners, liest Spengler gegen den Strich. Zuerst zerlegt er den "Untergang des Abendlandes" bis zum Skelett. Das würde jeder Aufklärer tun. Dann bricht Stephen das Skelett entzwei und enthüllt das Knochenmark. Spengler sah "Räume" verschiedenster Art, in die er die großen Kulturen jeweils steckte. Stephen nimmt die Theorie der "Räume", bricht sie aus dem historischen Kontinuum heraus, entfernt alles Dunkle und Schwermütige und wendet das Gelernte an: auf seine eigene politische Lage in den jetzigen USA. Stephen Mace setzt Spengler fort, indem er den "Raum" der Globalisierung enthüllt. Und endlich schleudert er den Gedanken der "Räume" in die Zukunft. Er entwirft einen spirituellen Raum, in welchem die Arbeit der Magier ihre gesellschaftlich-schöpferische Stelle findet. Sie erfindet neue Vernetzungen und "nichtantike" Institutionen.
Diese Weise des Denkens und Schreibens nenne ich: revolutionären Umgang mit den klassischen Texten. Die analytische Kritik der europäischen Aufklärung durchdringt sich mit der synthetischen Praxis der Magie. Und der dunkle Stil der Magier wird durchsichtig und hell für jeden Leser. Das ist der Brückenschlag.

Und unter der Brücke das Rauschen des Flusses

Aber wozu Brücken? Wozu Pfeiler? Wozu Säulen? Ist da ein Abgrund? - Ja. - Ist da ein Fluss? - Ja. - Hörst du ihn rauschen? - Ja! Sein Rauschen ist dieser Text. Wäre da kein Fluss, wir bräuchten keine Brücke. Der Fluss besteht in der Tatsache, dass die uralte Praxis der "Magie" inzwischen längst umgetauft wurde. Der neue Taufname ist den Aufklärern heilig. Aber die Aufklärung hat nicht bemerkt, dass der neue Name zugleich der Kosename für "Magie" ist. Und die altmodischen Magier haben nicht bemerkt, dass sie schon längst von einer neuen Magie abgelöst wurden: erlöst sozusagen. Der neue Taufname der Magie, der von beiden feindlichen Lagern der abendländischen Kultur als Magie nicht erkannt wurde, lautet "Arbeit".
Der Begriff der Arbeit wird in der Philosophie der Neuzeit als der Ort entdeckt, an welchem der Mensch sich selbst und seine Umwelt hervorbringt. Der Beginn ist das "cogito ergo sum" des Descartes, wobei das Wort "ergo" (lateinisch) "also" bedeutet, giechisch hingegen "ergon" wie in "En-ergeia" (Energie), also "Arbeit". Zurück ins Latein übertragen, ist "ergon" "opus". Das "opus magnum" ist das Ideal der Magier. Die Arbeiterbewegung hat dieses Ideal übernommen. Bereits Hegel sprach von der "Arbeit des Denkens". Sein Schüler Feuerbach sieht "Arbeit" bereits in der Entstehung der Sinnesorgane. Der Leib des Menschen hat sich durch Arbeit selbst gebildet. Marx übertrug den Vorgang der Selbsterzeugung auf die arbeitsteilige Gesellschaft. Niemand hat bemerkt, dass die "Helden der Arbeit" die neuzeitlichen Magier sind. Ersetze in Friedrich Engels` Schrift "Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen" das Wort "Arbeit" durch "Magie", und du hörst das Strömen des Flusses, von dem ich sprach.
Als ich neulich mit Stephen Mace den Begriff der "Arbeit" erörterte, sagte er: "opus magnum". Der Zusammenhang, den ich erklären wollte, war ihm schon lange klar. Da hatte ich den Eindruck: "Diesen Menschen habe ich erfunden". Aber ich irre mich: er hat sich selbst erfunden.
//Rezension der Zeitschrift "Das Goetheanum", Nr. 34/35, 18. August 2002, Wilfrid Jaensch, Seite 617


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