Geschichte der Hexen und Hexenprozesse
von Carl Lempens
Aus der Einleitung
„Greif niemals in ein Wespennest. Doch wenn du greifst, so greife fest.“
Die Mucker erheben wieder das Haupt und die Verstärkung des Priestereinflusses auf bürgerliche Verhältnisse wird als Heilmittel gegen die Schäden der Zeit gepriesen. Der schweizerische Bundesrat tat das Seinige zur Vermehrung der Bettelmönche im Lande (in Tessin) und wie die Heuschrecken sammeln sich bereits die Kutten an den Grenzen Deutschlands, um als Stützen des Säbelregiments ihre Dienste anzubieten, welche sie zu diesem Zwecke anderwärts schon leisten. Die Freude des allgemeinen Wohles der Gesamtheit des Volkes, alle wahrhaft politisch Gebildeten wissen, dass die Krankheiten unserer bürgerlichen Zustände ganz anderer Heilmittel bedürfen. Wir brauchen Licht, um Unkraut auszurotten, und man holt die Träger der Finsternis herbei, damit sie noch größere Dunkelheit schaffen, um nur um jeden Preis dem Unkraute und dem Ungeziefer, welches am Lebensbaume der zivilisierten Nationen saugt, das teure Dasein noch länger zu fristen. Ja, unsere Zustände sind krank, sehr krank. Die Natur bietet so überreichlich ihre Güter und Genüsse, dass alle Kinder der Erde sich ihres Daseins freuen und glücklich sein könnten. Aber ein kleines Häuflein Schmarotzerpflanzen überwuchert die gesellschaftlichen Verhältnisse, nimmt fast alle Güter und Genüsse ausschließlich für sich in Anspruch, und die große, große Mehrheit der nach den ewigen und unverbrüchlichen Gesetzen der Natur und Vernunft vollkommen Gleichberechtigten, sieht sich ihres Anteiles beraubt und muss im Elende darben. Da geht denn ein Strahl des göttlichen Lichtes der Vernunft durch die Massen, es dämmert allmählich vor ihren Augen, sie fangen an zu fühlen das Unbillige und Unnatürliche ihres Zustandes und bescheiden erheben sie ihre Stimme und reklamieren die ihnen gebührende Stellung in der Gesellschaft. Doch die Träger der Korruption sind weit entfernt, die Sprache der Gerechtigkeit zu würdigen, der Ruf nach Abhilfe, den sie vernehmen, dient nur dazu, ihr böses Gewissen zu wecken. Sie fühlen es, dass die Zustände faul und morsch sind, dass der Boden unter ihren Füßen hohl ist und dass die Sprossen der unehrlichen Leiter ihrer Größe mit jedem Schritte hinauf dünner und wackeliger werden, aber in bemitleidenswerter Verblendung wollen sie das Rad der Zeit rückwärts drehen, und der fortschreitenden geistigen Entwicklung der Menschheit Halt gebieten. Dabei macht sie das Bewusstsein ihrer unlauteren Sache zittern, sie fürchten, es könne der Tag erscheinen, wo das unabsehbare Heer der darbenden und verzweifelnden Unterdrückten getrosten Mutes in den Himmel greift, und herunter holt seine ewigen Rechte auf verhältnismäßigen Anteil an den Gütern der Erde. Deshalb trommeln sie denn die Repräsentanten der Geistesknechtschaft und der Vernunftverfinsterung herbei, damit dieselben die sonnenklaren Rechtsbegriffe mit dem Dunste des Aberglaubens umhüllen und verwirren. Das Pfaffentum soll ihnen die mit jedem Tage zunehmende Zerrüttung des ehrlichen, arbeitsamen, mittleren Bürgerstandes, das Krebsübel der immer wachsenden Scheidung des Volkes in ein kleines Häuflein müßiger Prasser, Wucherer und Börsenjobber, welche alles sich aneignen, gegenüber der überwiegenden Mehrzahl dadurch besitzlos und unglücklich gemachter armer Menschenkinder, die unverschuldeter Weise fast nichts haben, als funkelnagelneue Einrichtung seines „Gottes“ ausgeben. Dabei übersehen sie nur, dass der Blödsinn, ein Gott der Gerechtigkeit sei der Veranstalter der höchsten Unbilligkeiten und der Patron der Drohnen gegen die Arbeitsbienen, so durchsichtig und handgreiflich ist, dass ein solcher Missbrauch religiöser Institutionen leicht dazu führen könnte, dass das Volk dem Dinge erst recht auf den Grund schaut und nebst den Börsenjobbern und Blutsaugern zugleich deren schwarze Handlanger mit ihrem Schwindel abdankt, das heißt, ihnen das Türchen unter dem Altare, worauf ihre ganze Existenz beruht, einfach zumauert.
Man hat den zivilisierten Nationen das Christentum als eine „Religion der Bruderliebe“ aufgedrungen. Das erste Resultat der angeblichen Bruderliebereligion war für die deutschen Stämme der Verlust der bürgerlichen und politischen Freiheit. Vorher konnte von denselben der römischen Geschichtsschreiber Florus sagen: „Die Germanen haben von Natur eine Freiheit, welche die Griechen mit aller Kunst und Anstrengung nicht erreichen.“ In allen ihren Einrichtungen war eine absolute Volkssouveränität die Grundlage, sie bildete und pflegte jenen erhabenen Nationalcharakter, dessen sittliche Hoheit und unverbrüchliche Treue die Hochachtung und Bewunderung aller benachbarten Völker erregte. Alle Deutsche waren an Rechten gleich, ihre Vorgesetzten und Anführer wurden vom ganzen Volke gewählt, es gab keine Vorrechte des Standes und der Geburt. Die auf kurze Zeit ernannten Häupter galten nur als Diener des allgemeinen Wohles, sie blieben dem Volk verantwortlich, wurden vom Volke gerichtet, und einfach in den nächsten Sumpf geworfen, wenn sie dessen Willen, die Freiheit der Gesamtheit oder des Einzelnen, verletzten. „Bei ihnen ist es mit dem Regierenden so bestellt, dass derselbe nicht mehr Gewalt über das Volk hat, wie das Volk über ihn“, berichtet der römische Geschichtsschreiber Tacitus. Doch da kam das Christentum mit seiner herrisch- und habsüchtigen Priesterkaste. Letztere wollten gebieten, das war aber mit den Nationalrechten des deutschen Volkes nicht verträglich. Deshalb sorgten die Pfaffen dafür, Zwietracht unter den freien Männern zu säen, sich Despoten und Tyrannen zu verschaffen, damit sie im Bunde mit letzteren Geister und Körper knechten könnten. Ihre Politik schuf die fluchwürdigen und wahnsinnigen Geburtsunterschiede, ihr Einfluss gebar die Leibeigenschaft und „Erbuntertänigkeit“ auf deutscher Erde. Die Heuchlerbrut, „welche als Lämmer sich einschlichen, unter der betrügerischen Vorspiegelung „Allen Alles zu werden“, setzte ihre Galgen und Räder auf die Hügel, riss als Bischöfe, Äbte und Pfaffen aller Art weltliche Herrschaft an sich und zwang das vorher freie Volk in die entwürdigende Knechtschaft der „Hörigkeit“, belastet mit Frondiensten und Abgaben aller Art. Auch als später das Pfaffentum sich mit den weltlichen Herrschern entzweite und letztere ihm über den Kopf wuchsen, wurde die Lage des einmal verratenen Volkes dadurch nicht wieder besser.
Das heidnische Deutschland kannte nur gleichberechtigte freie Männer, das christliche Priestertum machte aus letzteren „Untertanen“ und setzte an die Stelle der Volkssouveränität und der Menschenrechte die für asiatische Sklaven erfundene vernunftwidrige Lehre: „Jeder Landräuber und Tyrann, mag er so schlecht sein als er will und mit den verruchtesten Mitteln seine Gewalt sich rechtswidrig erschlichen haben, ist von Gott, und das Volk muss alle Niederträchtigkeit von ihm sich ganz stupid wie ein feiles Stück Vieh gefallen lassen und lieber das schmählichste Unrecht erdulden, als „Aufruhr“ erregen.
Auf diese Weise war es denn bald so weit gekommen, dass unter der angeblichen Bruderliebe-Religion die christlichen Staaten schon oft viel schlimmer als die Raubtiere der Wüste gegeneinander handelten. Gut und Blut des Volkes wurden der Eroberungssucht der Despoten geopfert, die Länder angefüllt mit Werkzeugen zum Massenmord der „christlichen Brüder“. Aber den Freunden der Granatkartätschen wird es unheimlich, wenn ein freier Geist durch das Volk zieht, und die Menschen anfangen, zu fragen, weshalb? und wofür? Die Völker sehen zuweilen ein, dass die Bürger des anderen Staates keineswegs ihre sogenannten „Feinde“ sind, dass diese vielmehr ihren Gewalthabern gegenüber ganz dasselbe Interesse haben wie sie selbst, dass sie ebenfalls über alles Ruhe und Frieden lieben, dass also die Granatkartätschen und die unabsehbare Menge der übrigen Massenmordinstrumente durchaus überflüssig sind. Deshalb wackelt dann den Herrschern der Boden unter den Füßen, sie wissen, sobald diese Einsicht allgemein wird, sobald die Mehrzahl der gegen ihren Willen zu Kriegsknechten und Kanonenfutter gepressten Kinder des Volkes so vernünftig ist, dieses zu begreifen, dann wäre es aus mit allen Raubkriegen und mit der auf letztere gestützten Herrschaft.
Da erinnern sich denn die Regierungen ihrer alten Verbündeten, denen sie die Begründung ihrer Gewalt ursprünglich verdanken, der Schwarzröcke und Kutten. Sie wissen es zu würdigen, dass ohne letztere und ohne die von diesen gepflegte Geistesknechtschaft es nie und niemals möglich gewesen wäre, dem Volke seine politische und bürgerliche Freiheit zu nehmen und ihm ein Joch des Despotismus aufzuladen. Darum soll ihnen das Pfaffentum nun erhalten, was es aufzubauen so fleißig geholfen und in übertünchter Form die Granatkartätschen, Torpedos und andere Werkzeuge der Mordlust als reine Willensäußerungen des „Gottes der Liebe“ ausgeben. Dass hier der Widerspruch so grell ist, dass er zur Lächerlichkeit wird, hindert sie nicht; sie spekulieren auf die Dummheit der Massen, welche oft nicht einmal soviel zu denken weiß, um zu begreifen, dass ein Gott der Gerechtigkeit nie und unter keinen Umständen etwas Schlechtes anstiften und beschützen kann, dass seine Boten und Diener absolut keine Massenmörder, keine Räuber und keine Hindernisse des bürgerlichen Wohles des Volkes gewesen sein können, dass also zu keiner Zeit die Nichtswürdigkeit und ihre Repräsentanten von Gott geschickt worden sind.
Freilich, sehr oft ist der große Haufen zu dieser Erkenntnis noch nicht reif, und damit er es nicht wird, gehen die Vertreter des Aberglaubens stets mit neuem Eifer an die Arbeit. Es ist daher von der höchsten Wichtigkeit, dass das Volk über den Charakter und den moralischen Wert dieser „Arbeit“ gehörig aufgeklärt werde.
Hier wollen wir nun den Herren Dunkelmännern so weit entgegenkommen, dass wir nur den Maßstab ihrer eigenen Lehre an ihre Handlungsweise legen. Wir verlangen nicht entfernt, dass dieselbe nach den Grundsätzen des Fortschrittes und des allgemeinen Wohles sich bewähre, wir wollen uns schon damit begnügen, nur zu untersuchen, ob ihre sittliche Qualifikation das Licht ihrer eigenen Moralvorschriften ertragen kann. Wäre letzteres nicht einmal der Fall, dann müsste freilich auch das beschränkteste Schaf zu der Einsicht kommen, dass die ganzen pfäffischen Bestrebungen nur Trug sind und dass also der wahre und beste Gottesdienst nur darin besteht, diesen Trug zu bekämpfen und das Lügengewebe zu zerreißen. Einem Gotte der Wahrheit und der Gerechtigkeit kann ja naturgemäß nichts angenehmer sein, als die Befehdung der Lüge, des Schwindels und der damit geschützten und verteidigten Frevel!
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